Buchvorstellung: Wenn die letzte Frau den Raum verlässt


Zusammenfassung von Sabine Canditt, OV Eichenau

In unserem „Grünen Buchclub“ treffen wir uns regelmäßig zu siebt – zwei Männer, fünf Frauen. Reihum darf jede*r ein Buch auswählen, das wir bis zum nächsten Treffen lesen und dann miteinander besprechen. Dieses Mal fiel die Wahl auf Wenn die letzte Frau den Raum verlässt (Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer). Die beiden Autoren, zwei „weiße, deutsche“ Männer, arbeiten als Berater in Workshops zu Gleichberechtigung und Diversität, mit gemischten Gruppen, aber auch in reinen Männerkreisen. Sie schildern eindringlich die Szene, die den Buchtitel geprägt hat: „Der Moment, in dem die letzte Frau den Raum verließ und die schicke Glastür zuzog, hat sich tief in unsere beiden Gedächtnisse eingebrannt. Die Atmosphäre änderte sich schlagartig. Einige Männer atmeten auf, andere sanken tiefer in ihren Stuhl, wieder andere warfen sich verschmitzte Blicke zu. Doch interessant wurde es, sobald die Gespräche begannen – allein unter Männern. Sprechfilter und aufgesetzte Masken fielen weg, der eben noch optimistische und kooperative Ton wandelte sich im Handumdrehen.“

Dieser Moment macht mich als Frau neugierig: Was geschieht wirklich hinter verschlossenen Türen? Das Buch versucht, eine Antwort darauf zu geben – und mehr noch: Es richtet sich ausdrücklich an Männer und ruft dazu auf, Verbündete der Frauen zu werden.

Ein Kernpunkt ist, dass viele Männer sich bisher schlicht nicht mit Fragen des Sexismus auseinandergesetzt haben, weil sie ihn nie selbst erlebt haben. Sie glauben, dass Frauen längst gleichberechtigt seien. Dabei übersehen sie die strukturelle Dimension – Gesten, Erwartungen, Kommentare, unausgesprochene Normen – all das, was die Autoren als „symbolische Gewalt“ beschreiben. Gleichzeitig, so das Buch, können Männer das Thema gar nicht objektiv betrachten. Kognitive Verzerrungen prägen ihr Verhalten, oft unbewusst. Der Affinity Bias etwa führt dazu, dass Männer tendenziell eher andere Männer befördern als Frauen. Das macht deutlich: Wir alle – Männer wie Frauen – müssen uns dieser Verzerrungen bewusst werden und Bewertungsmaßstäbe kritisch prüfen.

Ein weiteres Kapitel widmet sich der männlichen Opferrolle. Viele Männer fühlen sich durch Frauenquoten benachteiligt oder verweisen auf ihre geringere Lebenserwartung. Manche fürchten, falschen Anschuldigungen schutzlos ausgeliefert zu sein. Hinzu kommt die Unsicherheit, welche Rolle der moderne Mann zwischen Versorger und fürsorglichem Vater eigentlich einnehmen soll. Hier, so die Autoren, gilt es Wissens- und Erfahrungslücken zu schließen und positive Vorbilder sichtbar zu machen. Interessant fand ich auch den Hinweis auf die Neurowissenschaft: Männergehirne verändern sich messbar, wenn Männer Sorgearbeit übernehmen.

Der zentrale Lösungsansatz der Autoren sind „Safe Spaces“ für Männer, in denen sie sich zu diesen Themen austauschen können. Denn das konstruktive Sprechen über Geschlechtergerechtigkeit „unterliegt einem Tabu“. Männer reden selten offen über ihre Rolle im Geflecht von Macht, Erwartungen und Privilegien. Die Autoren betonen außerdem, dass Männer anderen Männern oft besser zuhören als Frauen. Wenn Männer Sexismus anprangern, erfahren sie in der Regel weniger soziale Ächtung und werden ernster genommen. Deshalb sind sogenannte Male Allies so wichtig – Männer, die unter Kumpels, Freunden oder Kollegen klar Stellung beziehen.

Mich hat besonders beeindruckt, dass zwei Männer dieses Buch geschrieben haben – und zwar nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit ehrlicher Neugier und dem Versuch, andere Männer ins Gespräch zu bringen. Der Blick auf blinde Flecken, auf Verzerrungen, auf die Macht der ungesagten Regeln fand ich erhellend. Gleichzeitig habe ich beim Lesen oft gedacht: Das wussten wir Frauen längst. Auch die wiederkehrende Botschaft, dass Männer als Verbündete so entscheidend sind, leuchtet mir ein. Es ist eben nicht nur die Aufgabe von Frauen, Missstände aufzuzeigen. Wenn Männer ihre Stimme erheben, entfaltet das eine andere Wirkung.

In unserer Diskussionsrunde zeigte sich, wie unterschiedlich das Buch aufgenommen wurde. Einige berichteten, dass sie sich an viele real erlebte Situationen erinnert fühlten. Anderen war vieles eher fremd, was wohl stark mit dem eigenen beruflichen Umfeld zusammenhängt – und damit, wie sehr es von Männern geprägt ist. Auf Ablehnung stieß der Versuch, Männer in Typen einzuteilen – vom Alphamann bis zum stillen Mann. Das erschien mir zu schablonenhaft und wird der Vielfalt männlicher Erfahrungen nicht gerecht. Gerade dieser Austausch im Club war für mich wertvoll. Es zeigte sich, dass das Buch nicht nur Denkanstöße liefert, sondern auch dazu anregt, über eigene Erfahrungen ins Gespräch zu kommen – und das in einer Runde, in der unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen.

Wenn die letzte Frau den Raum verlässt ist ein wichtiges Buch – nicht nur für Frauen, sondern vor allem für Männer. Es macht Mechanismen sichtbar, die oft unbewusst wirken, und fordert dazu auf, Verantwortung zu übernehmen. Ich empfehle das Buch allen, die verstehen wollen, warum Gleichberechtigung nicht „schon erreicht“ ist, sondern tägliches Engagement braucht. Und ich empfehle, es nicht allein zu lesen, sondern in einer Runde zu diskutieren. Denn gerade in der Auseinandersetzung mit anderen entfaltet sich seine ganze Wirkung.