Zusammenfassung Europe Calling „(Un-)Gerechtigkeit und Populismus“

Webinar von www.europe-calling.de, siehe die komplette Aufzeichnung dort.

Erich Protzer stellt sein Buch vor.

Zentrale These des Buches: Ungleichheit ist ungleich Unfairness – es ist die Unfairness, die die Leute gegenüber Populismus empfänglich macht. So würden Popstarts ihr Reichtum eher „gegönnt“ als den Profiteuren der Weltfinanzkrise 2008. Populismus sei ursächlich mit sozialer Immobilität verbunden.

Einer der Hauptuntersuchungsgegenstände des Buches ist die „Soziale Mobilität“ – d.h. wie wahrscheinlich ist es, dass das eigene Einkommen unabhängig vom Reichtum der Familie ist, in die man hineingeboren wurde. Soziale Mobilität und der Einkommensungleichheit sind nicht dasselbe (Mike Corak: Great Gatsby Kurve, Kennedy and Surgue, 2023). Rassismus und Ablehnung von Einwanderung käme daher auch aus dem Gefühl, dass „denen“ mehr geholfen würde als einem selbst.

Wie können Politiker nun die soziale Mobilität erhöhen? Offenbar sei es nicht nur die Frage, wie stark sich der Staat irgendwo einmischt, sondern eher die Frage, wie eine gute Unterstützung mit marktwirtschaftlichen Prinzipien gekoppelt werden kann. Vergleicht man die USA und Frankreich, so ist sei die Anfälligkeit für Populismus gleich hoch, obwohl die Wirtschaftssysteme sehr unterschiedlich seien.

Anschliessend diskutieren die Panelist*innen.

Ulrike Malmendier unterstützt die Thesen aus verhaltensökonomischer Sicht, insbesondere der Tatsache, dass sich Menschen immer untereinander vergleichen würden. Dies unterstreicht den Aspekt der Fairness. Entgegentreten könne man dem Populismus nicht mit einer Erklärung des „reich“ und „arm“, was aber sofort in eine links/rechts-Diskussion führe. Man solle stattdessen für die gleichen Möglichkeiten sorgen und dass auch Leistungsanreize existieren. Ein weiterer Aspekt sei die Unsicherheit z.B. am Arbeitsplatz, hinsichtlich z.B. Veränderungen bei Digitalisierung, die zu einer Zuwendung zu populistischen Thesen führen würde.

Xan López berichtet, dass in 2023 den rechten Tendenzen durch eine Mischung aus Fortuna und Virtù (Machiavelli) beigekommen werden konnte. Durch die Steigerung des Mindestlohnes, Inflationsreduzierenden Maßnahmen und Sozialprogrammen konnte zwar nicht neue Wähler gewinnen, aber die Abwendung hin zu populistischen Parteien verhindern. Natürlich sind auch spezielle spanische Geographie- bzw. Wähleraspekte relevant. Auch habe die Rechte einen desaströs schlechten Wahlkampf abgeliefert.

Rasmus Andresen weist darauf hin, dass soziale Ungleichheit bzw. soziale Immobilität stärker von der Politik adressiert werden muss. Gerechtigkeitspolitik könnte diese Entwicklung stoppen. Angst vor dem materiellen und sozialen Abstieg sei ein weiterer starker Effekt.

Eric antwortet auf die Frage, inwieweit die dargestellten Vorkommnisse in Spanien für ihn erklärbar seien. Eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Bedeutung von „Sozialer Gerechtigkeit“ würde helfen. Unfairness sei immer die stärkere Motivation als die eigentliche Grösse eines wirtschaftlichen Schocks.

Die ersten Publikumsfragen fragen, warum denn in Deutschland z.B. die Ampel dann so unbeliebt sei, obwohl sie viel für den sozialen Ausgleich tut? Und warum drängen viele Wähler an den rechten Rand, obwohl von dort wenig Unterstützung für sozialen Ausgleich zu erwarten sei? Frau Malmendier antwortet, dass der soziale Ausgleich nicht unbedingt als „fair“ wahrgenommen wird, da z.B. das rechte Narrativ gerade die „Ungerechtigkeit“ von angeblich unverdienten Sozialleistungen gerne ausnutzt. Auch der Ukraine-Krieg bzw. die von ihm verursachte Inflation sind nicht von der Ampel zu verantwortende Effekte. Warum es immer zum rechten Rand ginge, so fragt sich auch Frau Malmendier, sei nicht abschliessend zu erklären; verhaltenspsychologisch sei sicherlich die Existenz eines eindeutigen Feindbildes ursächlich.

Rasmus Andresen weist darauf hin, dass die Ampel durch die grundsätzlich unterschiedlichen Ansätze einer FDP bzw. der Grünen leidet. Im öffentlichen Diskurs sei es weiterhin üblich geworden, „nach unten“ zu treten – was durch die rechten Parteien auch immer gesellschaftsfähiger gemacht wurde. Es sei allerdings kein Naturgesetz, wie man an dem spanischen Beispiel sähe, oder auch in Österreich (Salzburg).

Eric kommentiert die Frage, warum es immer nach „rechts“ geht (obwohl es auch „links“ gäbe): es sei verständlich, dass man bei der Wahrnehmung einer Bedrohung sich eher in identitäre Kleingruppen zurückzieht, als breite gesellschaftliche Gerechtigkeit im linken Spektrum zu verfolgen.

Ein weiteres Publikumsthema war Steuergerechtigkeit und attraktive öffentliche Infrastruktur – auch unter Aufnahme von Schulden. Rasmus bestätigt, dass es im deutschen Steuersystem sehr viele Ungerechtigkeiten (Vermögen, Erbschaften) gäbe. Auch sei die Idee einer Mindestbesteuerung von multinationalen Konzernen verfolgenswert (der Ökonom Gabriel Zucman würde auch eine internationale Mindestvermögenssteuer vorschlagen). Die Investitionen in einen European Green Deal würden durch überkommene Schuldenbremsen und europäische Mechanismen verhindert.

Ulrike Malmendier schliesst mit der Beobachtung, dass selbst eine initial „perfekte“ Steuersystematik sich im Laufe der Zeit der hohen gesellschaftlichen Komplexität stellen müsse. Die Transformation (sowohl grün, als auch sozial-ökologisch, als auch digital) kostet Geld und müsse gesellschaftlich ausgewogen finanziert werden. Eine Schuldenregel verhindere das Aufbürden der Lasten auf zukünftige Generationen, dennoch sei die eigentliche Frage, was langfristig für ein Land wichtig sei – Bildung, Erziehung, Infrastruktur als Beispiele. Die Periodisierung in zukunftsorientierte Themen sei die Aufgabe der Zeit.

Nächste Webinare von Europe Calling:

28.3. 18 Uhr Aufbrechen, Überleben, Ankommen. Unsere Verantwortung entlang der Fluchtrouten

11.4. 18 Uhr mit Robert Habeck – wie gelingt die Transformation in Europa