Buchvorstellung „Triggerpunkte“

Holger hat das Buch beim letzten Debattierclub des Kreisverbandes am 26.6.2024 vorgestellt.

Triggerpunkte –

Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft

Von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser (drei Soziologen)

2023

Welche Konfliktthemen und -gruppen strukturieren unsere Gesellschaft?

Stimmt die Polarisierungsthese?

Daten:

  1. Mai bis Juli 2022 repräsentative Umfrage durch Infas: bundesweit 2530 Personen im Alter ab 16 Jahren (Survey Ungleichheit und Konflikt), per Telefon

Fragen zu den „Arenen“ und zur Soziodemographie und weitere Aspekte (Lebenssituation, Lebensführung, Mediennutzung, Wahlabsicht, wahrgenommenes Meinungsklima, Sympathien für bestimmt soziale Gruppen usw.)

  • Qualitative Erhebungen in Form von sechs Diskussionsgruppen (sogenannte Fokusgruppen als offene Explorationsverfahren), Nov. 2021 in Berlin und Mai 2022 in Essen (einander unbekannte Personen diskutierten unter Anleitung eines Moderators einen Abend lang über kontroverse Themen, beobachtet durch Zwei-Wege-Spiegel)
  • Existierende Dauerbefragungen wie die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) oder der European Social Survey (ESS) um langfristige Dynamiken zu erfassen

Tatsächlich: USA

In Deutschland lässt sich eine solche Lagerbildung nicht nachweisen

Einzelne Meinungen sind viel loser verknüpft

„alte Karte der Klassenkonflikte nur noch bedingt zum Navigieren durch die politische Landschaft taugt“. Bildung und Klasse schlagen je nach Konfliktarena unterschiedlich stark durch, aber „kaum Hinweise auf einen grundlegenden Stadt-Land-Konflikt oder ein Gegeneinander der Generationen“

„Konflikte sind vorhanden – und zwar reichlich“

Deutliche Verbindung von Klima- und Migrationsfragen

„Analyse von Ungleichheitskonflikten in der Gegenwartsgesellschaft“ „Ungleichheitsarenen“

  1. Sozioökonomische Verteilungskonflikte (Oben-Unten-Ungleichheiten)(ökonomische Güter und wohlfahrtsstaatliche Ansprüche) „Umverteilung“, „links und rechts“
  2. Kontroversen um Migration, territorialen Zugang und Integration (Innen-Außen-Ungleichheiten) „Migration“
  3. Identitätspolitische Anerkennungskonflikte (Wir-Sie-Ungleichheiten) „sexuelle Diversität“, Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe
  4. Umweltpolitische Auseinandersetzungen (Heute-Morgen-Ungleichheiten) „Klimapolitik“

70% der Befragten nehmen genau diese Arenen als besonders konflikthaft wahr

Ad 1.) verbreitetes Unbehagen an der Ungleichheit, aber statt einer klassenpolitischen Mobilisierung dominieren meritokratische Verteilungsnormen und horizontale Positionskämpfe

Ad 2.) „sehr viel stärke Spannung“. Klassen- und Bildungsunterschiede stark zu Buche schlagen“

Ad 3.) zeigt sich im Zeitverlauf eine starke Liberalisierung der Gesellschaft, die Gruppenunterschiede eher nivelliert –  aber auch Entgrenzungsbefürchtungen („Das geht zu weit“)

Ad 4.) „Konfliktherd erst im Entstehen“: Klimawandel wird in der Breite der Bevölkerung als Problem gesehen, aber unterschiedliche durchaus klassenspezifische Vorstellungen zu seiner Bewältigung

Warum intensivieren sich Konflikte an Detailfragen? Etwa Gendersternchen, Lastenfahrräder oder Tempolimit – Konzept der „Triggerpunkte“: besonders neuralgische Stellen, an denen besonders aufgeladene Konflikte aktiviert werden

Je weiter unten in der Hierarchie sie stehen, desto wütender und erschöpfter sind sie

Anhängerschaften der Parteien mit ihren Einstellungsprofilen

Mit Ausnahme der AfD (sowie teils auch der Grünen-Wählerschaft) finden wir Anzeichen auf eine zentripetale Kultur

Triggerpunkte können von „Polarisierungsunternehmern“ genutzt werden

Ein stärkeres Gegeneinander gibt es bei „ungesättigten Konflikten“, typisch für die Wir-Sie, Innen-Außen und Heute-Morgen-Arena

„Konflikte entwickeln dann eine besondere Durchschlagskraft, wenn die Einstellungen oder Meinungen von Individuen sich nicht zufällig verteilen, sondern systematisch mit Positionen in der Sozialstruktur verknüpft sind“

Analysewerkzeuge: 

  1. Polarisierungsindex zwischen 0 (vollständige Einigkeit) und 1 (vollständige Spaltung)
  2. Klassenschema nach Daniel Oesch (verknüpft vertikale Qualifikation mit horizontalen „Arbeitslogiken“ (unabhängige, technische, organisatorische, interpersonelle“ -> „neue Cleavages“, Wahlverhalten

Ad 1. Oben-Unten-Ungleichheiten

„Sozialwissenschaftlich ist es jedenfalls eine bedeutsame Frage, warum aus wachsender Ungleichheit keine linke Mobilisierung folgt und warum rechte politische Unternehmer davon profitieren“

Die Kritik an der Ungleichheit wird klassenübergreifend geteilt und nicht nur „von unten“ getragen

Einstellungen zu materiellen Ungleichheiten seit ca. 1900 NICHT polarisiert, vielmehr betrachten konstante Mehrheiten die Ungleichheit kritisch und befürworten Umverteilung

Gleichzeitigkeit einer Unzufriedenheit mit der Ungleichheit und einer Zufriedenheit mit der eigenen Lage

Leistungsorientierung, der Glaube an Aufstieg durch harte Arbeit wie auch selbst erfahrene Aufstiegsmobilität, reduzieren die Unterstützung durch staatliche Umverteilung

„Glaube an die Meritokratie“ findet in den unteren Klassen die stärkste Unterstützung

Diese Konflikte werden als „Nullsummenspiele“ wahrgenommen: Was die einen zu viel haben, haben die anderen zu wenig, was die einen bekommen sollen, muss den anderen weggenommen werden

Unbestritten: der Staat soll zentrale Lebensrisiken abnehmen

Wohlfahrtsstaat weniger als Gleichmacher, sondern als Sicherheitsproduzent

Selbst unter denen, die nur ein geringes Einkommen beziehen, befürwortet nur die Hälfte eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze

Deservingness-Theorie (

„„leistungslose“ Transfereinkommen sind in den Augen derjenigen besonders skandalös, die für geringen Verdienst viel leisten müssen“

Auf Vorfahrt für Bildung können sich viele einigen

Konsens: Wohlfahrtskonsens, Ungleichheitskritik, Leistungsprinzip, Deservingness

Dissens: 

– Meritokratie intakt/unzureichend

– verdienter/unverdienter Reichtum

– soziale Hängematte/unverschuldete Notlagen

– zu hohe Lasten/gerechter Ausgleich

Ad 2. Innen-Außen-Ungleichheiten

Zeitverlauf: Einstellungsprofile zeigen – anders als die öffentlichen Diskussionen und die Veränderungen der Parteienlandschaft – tendenziell eher ein Bild der Kontinuität; einen Meingungsbacklash oder ein zunehmendes Zerfallen in Pro- und Kontra-Lager ergibt sich nicht

„Der bedingten Inklusionsbereitschaft der Mehrheit stehen die markanten Schließungserwartungen einer Minderheit gegenüber“

Mehrheit: Migration als notwendig und bereichernd

Insbesondere Produktionsarbeiter und Beschäftigte in einfachen Serviceberufen sind migrationsskeptischer

Einer Obergrenze stimmen 40% zu, 40% lehnen sie ab

Das jemand aus wirtschaftlicher Not sein Land verlassen muss, zählt für die Mehrheit nicht zum Katalog der als legitim empfundenen Gründe

Gerade in der unteren Mittelschicht und der Unterschicht wird Migration als Frage der Verteilungsgerechtigkeit thematisiert: begrenzter Pool an staatlichen Ressourcen

In den Fokusgruppen waren sich die Teilnehmer weitgehend einig, dass die Aufnahme von Flüchtlingen ethisch geboten ist und Einwanderung wirtschaftlich nützlich sein kann, aber einer umsichtigen Steuerung bedarf

„Das Gros der Bevölkerung will gesteuerte und regulierte Migration, ist sich aber uneins darüber, wie liberal oder selektiv die Regulierung erfolgen sollte, welche Verpflichtungen wir gegenüber  Menschen aus anderen Weltregionen haben und welche Kriterien bei der Auswahl von Neuankömmlingen zählen sollteni

Deutlich klassenstrukturiert (untere Sprossen der sozialen Leiter skeptischer), aber keine Spaltung

Ad 3. Wir-Sie-Ungleichheiten

Was ist „normal“, was ist Abweichung?

„Tocqueville-Paradoxon“: gerade der Abbau von Diskriminierung kann zu einer wachsenden Sensibilität  für das verbleibende Unrecht führen

Identitätspolitik

1990 war nur eine Minderheit von ca. 30% der Bevölkerung der Meinung, Homosexualität sei in Ordnung. Bis 2017 hatte sich dieser Wert verdoppelt. Auch das Schwule und Lesben ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen führen dürfen sollten, ist heutzutage deutliche Mehrheitsmeinung

Der Polarisierungsgrad dieser Einstellungen ist rückläufig

Zudem sehr starke Akzeptanz von Menschen, die ihr Geschlecht gewechselt haben: 84% geben an, dass diese Menschen als „normal“ anerkannt werden sollten

Wissentlich zu diskriminieren und als diskriminierend wahrgenommen zu werden, ist ein No-Go

Unterschiede: wie dringlich ist das Problem

„Erlaubnistoleranz“:  Duldung. Solange sexuelle Minderheiten ihre Präferenzen in privaten ausleben

Versus „Respekttoleranz“: Respekt, Wertschätzung, öffentliche Sichtbarkeit

enger sozialer Kontakt mildert Vorurteile ab und fördert Verständnis

Geschlechterquoten: 44% dafür, 1/3 dagegen

Die Verwendung der weiblichen und der männlichen Form sowie geschlechtsneutraler Formulierungen wird überwiegend gutgeheißenj, die Benutzung von Symbolen wie Sternchen oder der Gender-Gap hingegen nicht

Egal ob man nach Bildung, Migrationshintergrund, Ost/West oder Stadt/Land unterscheidet, in keine Gruppe findet sich eine Mehrheit für gendergerechte Sprache

Ad 4.) Heute-Morgen-Ungleichheiten

Zeitverlauf: Aufmerksamkeit für ökologische Fragen volatil

98% der Bevölkerung meinen, dass wir bereits mit dem Klimawandel konfrontiert sind oder es in  Zukunft sein werden

Es geht nicht um das Ob der Transformation, sondern darum, wie und bei wem die Transformation ansetzen soll

Polarisierungsgrad steigt bei Tempo und Reichweite der Maßnahmen

Kein Generationenkonflikt im Klimabewusstsein

Sozial stratifiziert: „Klassenfrage im Werden“

„Die (wahrgenommene) Fairness dieser Verteilung (Anmerkung: der Lasten der Transformation) wird damit zur conditio sine qua non der Akzeptabilität ökologischer Reformanstrengungen. Dies betrifft Fragen der Besteuerung von CO2, aber auch ganz alltagsnahe Aspekte des Lebensstils, der Haushaltssituation, der Wohnbedingungen und der Mobilität. Hier liegt in der gegenwärtigen Debatte das größte Risiko, bedeutsame gesellschaftliche Gruppen oder politische Lager zu verlieren“

Die unteren Statusgruppen pochen auf einem Vorrang des Sozialen vor dem Ökologischen

Die Aufladung des Lebensstils kann zu Reaktanz führen („Ich möchte mir nicht vorschreiben lassen, wie ich in meinem Zuhause lebe ..“)

Die Verbindung von sozialer und ökologischer Frage ist das zentrale Thema, das sich durch alle Klimadiskussionen zieht

Triggerpunkte

Jene neuralgischen Stellen, an denen Meinungsverschiedenheiten hochschießen, an denen Konsens, Hinnahmebereitschaft und Indifferenz in deutlich artikulierten Dissens, ja Gegnerschaft, umschlagen

  • Wenn es Konsequenzen für das eigenen Leben hat
  • Bestimmte Wörter: Gendersternchen, Messerstecher, Transquoten, Clan-Bosse, Luxusyachten, Lastenfahrräder ……

4 typische Trigger

  1. Ungleichbehandlungen
  2. Normalitätsverstöße
  3. Entgrenzungsbefürchtungen
  4. Verhaltenszumutungen

Ad 1: 

darüber empören sich Linke: Queere diskriminiert, Migranten ausgeschlossen, gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt, migrantisch gelesene Deutsche nach ihrer Herkunft gefragt

Antidiskriminierungsmaßnahmen können als ungerechte Bevorteilung wahrgenommen werden

„dürfen Transpersonen, sexuelle und ethische Minderheiten nur das einfordern, was auch allen anderen zukommt“, „sobald es um die Anerkennung als spezifisch andere geht, werden Ansprüche (..) abgewehrt“

„Ablehnung einer extensiven Sozialpolitik“ beruft sich auf Grundsätze der Gleichbehandlung: „Gleiche Pflichten für alle“, „Hartz IV sollte ja eigentlich das absolute Lebensminimum abdecken. Und wenn einer dafür, dass er acht Stunden jeden Tag schinden geht, nur 20 Euro mehr im Monat hat (..), das kann doch nicht wahr sein“ „Die Angst vor einer ungerechten Übervorteilung durch andere triggert über alle Arenen hinweg“

Ad 2:

„intuitives Gefühl für Verhaltensweisen, die als konform und angemessen, vertretbar und tolerabel gelten“

z.B. Transperson mit Penis in Frauenumkleide, arbeitsunwillige Arbeitslose, verschwenderische Superreiche, Schülerinnen, die für Klimademonstrationen den Unterricht schwänzen, arrogante SUV-Fahrer, kriminelle Migranten sowie ganz zuvorderst Angehörige krimineller ausländischer Clans, genderinklusive und nichtrassistische Sprache

Ad 3.

„Was kommt als nächstes?“ „Kontrollerwartung“ „Dammbruchargument“, Angst vor Eigendynamik, 

z.B. Transfrauen in Schwimmbadumkleiden, Schwimmzeiten für Transmenschen „Quote für was weiß ich noch alles“, „Da würden sich alle nur noch zurücklehnen und keiner geht mehr arbeiten“, wahrgenommen Inflation der Ansprüche

„Transformationsmüdigkeit“

Geringe Altersunterschiede, den „alten weißen Mann“ gibt es so nicht

Ad 4.

Gefühlte Zumutungen, die sich aus veränderten Verhaltenserwartungen (..) ergeben

„Man soll die machen lassen (..), aber ich möchte nicht jeden fragen müssen, was seine Pronomen sind“, „es wird schwierig, wenn das in mein Leben überschlägt“, „gezwungen werde, mir ein Auto zu kaufen, das ich gar nicht will“ „Man muss immer aufpassen, dann man (..) nicht in eine Ecke gestellt wird“ (Angst vor Stigmatisierung als rechtsradikal)

Es geht nicht um geschriebene Gesetze, sondern um die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen, dass „man heutzutage nichts mehr sagen darf“, Tabuisierung des spontanen „normalen“ Sprechens

Grundsätzliches Gefälle der gefühlten Handlungsmacht

„Es gibt beim Grad der gefühlten Zumutung durch neue Sprachkonventionen ein nicht zu ignorierendes Gefälle zwischen Oben und Unten“

Reaktanz

„Doch sie reagieren allergisch, wenn sie das Gefühl haben, dass sie in ihrer Freiheit eingeschränkt werden“

Ost- und Westdeutschland sind deutlich als zwei Teilgesellschaften erkennbar. Osten: „Land der kleinen Leute“

Die stärksten Klassenunterschiede ergeben sich im Feld der Heute-Morgen-Ungleichheiten

Die Binnendifferenzierung der Klassen ist größer als die Unterschiede zwischen ihnen

In der Innen-und-Außen- und der Heute-Morgen-Arena tritt Bildung als zentrale Unterscheidung hinzu

„Es gibt zwar spezifische Unterschiede entlang der sozialstrukturellen Merkmale, aber wie schon bei den Klassen finden wir für keines der Merkmale Hinweis auf eine klare Polarisierung, bei der bestimmte Großgruppen stark zum konservativen Pol neigen, andere hingegen klar zum progressiven Pol“

Die Liberalisierung erfasst die ganze Gesellschaft, als wie jung, die jüngeren Jahrgänge können aber als Pionierkohorten angesehen werden

Unterschiede zwischen Männern und Frauen und zwischen der migrantischen und der nichtmigrantischen Bevölkerung insignifikant

Auffällig ist die vergleichsweise hohe Korrelation zwischen Migrations- und Klimaeinstellungen

Unterschiede zwischen Hauptschulabschluss und höchstem Bildungsgrad augenfällig

Klasse und Bildung sind von großer Relevanz für kontroverse Fragen und übertreffen darin deutlich andere Merkmale wie Urbanität, Migrationshintergrund und Geschlecht

Eine deutliche Ausnahme ist die breite Ablehnung von Rechtsorientierten und AfD-Anhängern, wobei sich dies mit der „Normalisierung“ dieser Partei verschieben kann. Im Gesamtbild sind jedoch auch die deutschen Parteianhängerschaften deutlich weniger affektiv polarisiert als etwa die USA.

Mit der Gruppe der Migrationsgegner will niemand etwas zu tun haben

AfD wird deutlich negativ wahrgenommen, die Grünen tendenziell sympathisch, wobei die Grünen stärker polarisieren „Klimaschutz ja, Klimaschützer und Grüne nein danke“

Internet:

wird zunehmend kritisch gesehen

nicht virtuelle Echokammern, sondern im Gegenteil die reale Konfrontation mit Andersdenkenden führt zur Erregung. Der Drang zur Abgrenzung wird durch „Exposition“ verstärkt

Wut: Klasse und Bildung: je weiter unten, desto höher der Wutpegel. Ebenso AfD und Nichtwähler

Subjektive Wichtigkeit des Themas: Migration für Migrationsgegner wichtiger als für Migrationsbefürworter

Veränderungserschöpfung: wie stark verortet man sich selbst als überrollt oder mental und politisch an der Spitze. 44% gaben an, es falle ihnen angesichts des sozialen Wandels schwer, Anschluss zu halten. Vor allem einfache Berufsgruppen, Bildungsarme, Einkommensschwache

Zusammenhang von Wut und Veränderungserschöpfung

Trotz klarer ideologischer Unterschiede (..) zeigt sich Deutschland als Gesellschaft mit Drang zur Mitte und einer deutlich schwächeren Lagerbildung (..). Gerade die Unschärfe ideologischer Positionen und das Aufweichen von Parteibindungen öffnet jedoch Türen für eine stimmungsgetriebene Affektpolitik, die Polarisierungsunternehmergewinnbringen zum Einsatz bringen, vor allem bei den Rechten Parteien: 

Insgesamt ist bemerkenswert, wie groß die Überlappungsbereiche sind – mit Ausnahme der AfD (und stellenweise der Grünen)

Linken-Wähler: gespaltene Partei: zu migrationspolitischen Fragen zwei Haltungen

80% halten die AfD für nicht wählbar

Viele halten die SPD, die Union, die Grünen und die FDP für grundsätzlich wählbar

Zentripetale Logik mit Abgrenzung nach Rechts

Grünen- und AfD-Wähler haben fast gar keine Überschneidungen

Asymmetrischer Lagerkonflikt: 

Grüne: progressive Mittelklassefraktion – kein rechtes Arbeiterlager

Wechselaktivität zwischen den Blöcken steigt

Unwägbarkeiten der Tagespolitik, Qualität des Personals, emotionalisierte Einzelereignisse, wirksam angespitzte Triggerthemen und Stolperfallen spielen eine wichtige Rolle

Migration und Klima: „unsettled conflicts“ schaffen Gelegenheitsfenster für neue politische Unternehmer und unkonventionelle, radikalere Aktionsformen, sowohl auf der reaktionären wie auch progressiven Seite

„Affektpolitik“

„Polarisierungsunternehmer“: Triggerthemen

Triggerthemen sind auch über den Einzelfall hinausgehende Chiffren, entlang derer politische Differenzen markiert werden können

Nicht die Gesellschaft spaltet sich, sondern die Außenbezirke der Meinungslandschaften beschallen das viel größere Zentrum

„False polarisation“ kann dazu verleiten, sich der einen oder anderen Seite zuzuordnen, und erzeugt so erst die Gesellschaft, die man irrtümlich zu beobachten glaubt

Gegen Polarisierung: Mittelschichtsdominierte Gesellschaft, Verhältniswahlrecht, Koalitionsregierungen, föderale Struktur, öffentlicher Rundfunk, Qualitätsmedien

Entscheidend wird es sein, ob es den etablierten Parteien gelingt, weiterhin zenhtrale Adressaten politischer Erwartungen zu sein

Grüne und AfD: Migration, Diversität, Klima – zu allen 3 Konfliktarenen klarer Antagonismus und beide ganz erheblich vom Bevölkerungsdurchschnitt abweichend

Das könnte mittelfristig zu jener Polarisierung führen, die bislang nur beschworen wird

Sprachpolitische Interventionen, selbst wenn sie als gut gemeinte Aufforderungen daherkommen, treffen auf starke Reaktanz

Konfliktbefriedung?

Ganz allgemein werden Konflikte dadurch befriedet, dass man für alle Beteiligten akzeptable Kompromisse erzielt und diese auf Dauer stellt. „Impliziter Gesellschaftsvertrag“

Zustimmungsfähige Programmatiken:

  • Investive Sozialpolitik
  • Erweiterung der Umverteilungskapazität (Vermögen, Erbschaften)
  • Infrastrukturstaat (Energie, Gesundheit, Digitalisierung, Bildung)
  • Gesteuerte Migration (Zuwanderung notwendig, Kritik an „falschen Anreizen“)

Wir-Sie-Arena: keine etablierten Befriedungsformeln, Identität kein teilbares Gut

Dabei mag man bezweifeln, ob ein pädagogischer (offiziöser) Ansatz für die Durchsetzung diskriminierungsfreier kultureller Mitgliedschaft weit trägt

Heute-Morgen-Arena: Faire Lastenverteilung der ökologischen Transformation, Problem der Erschöpfung fiskalischer Möglichkeiten

„moralische Plausibilität“ der Kompromissbildung